Sternenmütter lasst uns reden

Hi! Schön, dass du wieder rein schaust.

SternenmütterSternenkinder? Vielleicht kennst du den Begriff „noch“ gar nicht oder unter Umständen bist du sogar eine Sternenmama oder ein Sternenpapa oder ein Sternengeschwisterchen?

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Mit diesem Blog nehme ich die im Titel gestellte Aufforderung der heurigen Muttertagsausgabe der Kronen Zeitung von Frau Vikarin Julia Schnizlein, MA (Wien-Währing) an und widme die nächsten Zeilen allen, die dieses Leid gemeinsam mit mir bereits ertragen mussten, aber auch für jene, die bis jetzt unter Umständen immer die Augen und Ohren vor „Kindern, die fehlen„, respektive vor toten Kindern verschlossen hatten, weil sie diesen unsagbaren Schmerz von anderen Frauen nicht ertragen konnten. Habe Mut und lies bis zum Ende.

Der Tod hat viele Gesichter. Ich, aus der professionellen Pflege stammend, kann dies mit Sicherheit bestätigen, denn ich habe schon sehr viele Sterbefälle miterlebt und begleiten dürfen. Für jeden von uns ist sein eigener Verlust der schwerste, ist sein Bingerl, das er trägt,  das schwerste. Der Tod gehört zum Leben dazu, obwohl wir in der aufgeklärten Welt diesen zu verdrängen versuchen. Ganz unter dem Motto „für immer jung“. Dass wir sterben, wenn wir alt und krank sind, liegt in der Natur des Menschen. Was ist aber, wenn ein Ungeborenes, ein Baby oder Kind stirbt? Das ist so wider der Natur, dass es uns sprachlos zurücklässt. Unsere Geschichte zu erzählen, ist jedoch als Orientierungshilfe, gerade im Zeitraum der jungen Trauer, extrem wichtig. Obwohl die Geschichte meines Sternenkindes Benjamin nun bereits 18 Jahre lang dauert und ich vor allem zu Beginn Tagebuch geschrieben habe, gehe ich erst heute damit „wirklich“ nach außen. Das Erzählen vom eigenen Erlebten macht unser Leben wieder heil – ein Stück zumindest. Und daher erzähle ich dir heute einen kleinen Teil meiner Geschichte…

Ich bin so unendlich einsam! Ich fühle mich so leer und der Schmerz ist so unendlich groß. Ich glaube, heute ist Mittwoch (27. Juni 2001). Die Zeit scheint eine Ewigkeit zu sein. Ich blicke zurück und es kommt mir vor, als ob ich diesen Schmerz schon mein ganzes Leben lang mit mir getragen habe. Dabei ist es erst 2 Tage her, genau 44 Stunden.

Lange Zeit wollte ich es nicht wahr haben. Doch Gefühle täuschen nicht. Man hat Vorahnungen, wenn sie negativer Natur sind, schiebt man sie schnell zur Seite. Der Kopf ist groß genug. Sind sie positiv und richten uns Menschen auf, dann holt man sie immer und immer wieder hervor. Warum sprachen wir am Sonntag (24. Juni 2001) beim Frühstück über die Totgeburt eines Babys von einer mir fremden Person? Ich kenne nur ihre Mutter und das nur flüchtig. Sie erzählte es mir in den Anfängen meiner Schwangerschaft mit Benjamin. Furchtbar tragisch, entsetzlich und grauenvoll empfand ich es, doch wie gesagt, negative Empfindungen haben nur ganz hinten Platz. So ein Drama passiert lediglich anderen Frauen.

Warum kam dann unser Gespräch am Samstag (23. Juni 2001) zuvor auf nicht spürbare Kindsbewegungen im Mutterleib? Es war bei der Hochzeit von Freunden. Wir hatten ein Pärchen (I. & R.) erst auf dieser Hochzeitsfeier kennengelernt. Zwei hochschwangere Frauen finden recht schnell Kontakt und Gemeinsamkeiten. Da gibt es viel zu erzählen und zu erfragen. Da ich die „erfahrenere“ Schwangere von uns beiden war, musste ich eher Antworten geben. Und auf die Frage, ob ich denn auf die Klinik fahren würde, wenn ich mein Ungeborenes einmal einen Tag zum Ende der Schwangerschaft nicht mehr spüren würde, war es doch sonnenklar: auf jeden Fall! Hatte ich die selben Gedanken bei meiner ersten Schwangerschaft mit meiner Tochter Laura? Ich glaube nicht. Als schwangere Frau schenkt man doch Leben, oder?

In der Nacht zu Sonntag, es war ca. 2 Uhr früh, weckten mich die ersten Wehen auf. Ich schlich mich aus dem Schlafzimmer, um R. nicht zu wecken. Die Blase drückte bei dem großen Bauch natürlich und so ging ich leise auf die Toilette. Ebenso sollte Laura unbedingt schlafend bleiben. Da die Geburt zu Laura sehr schwer und langwierig war, entschied ich mich bei dieser, meiner zweiten Geburt, schon früher los zu lassen, nicht erst im Kreisssaal, unter mahnenden Worten der Hebamme. Das tat ich dann, mit streichelnden Bewegungen über meinen dicken Babybauch und Gesprächen zu meinem ungeborenen Sohn, sitzend auf dem WC.

Ich würde ihn gehen lassen, sagte ich mehrmals. Ohne die Bedeutung von „gehen lassen“ auf ein, für immer und ewiges Fortgehen gemeint zu haben. So kam es, dass sich mein ungeborener Sohn in dieser Nacht von mir verabschiedete, für immer, ich den Sonntag über keine Kindsbewegungen mehr verspürte und ich bis Montag abwartete, um ins Krankenhaus zu fahren. Ich solle nicht hysterisch sein und mich beruhigen, hieße es aus meiner engsten Runde. Und so kam bei mir alles anders,  als ich gesagt und vor allem geplant hatte. Das weiß ich aber erst jetzt, Tage nach der Totgeburt meines Sohnes Benjamin am Montag, dem 25. Juni 2001 und ich finde keine Antworten darauf – das ist das Schlimmste…

…Freitag (29. Juni 2001): die ersten Stunden wieder zu Hause. Ich hatte sie mir schwieriger vorgestellt. Als ich mit R. vorgefahren bin, waren gerade Arbeiter der Zaunfirma vor Ort. Meine Mutter und Laura standen an der offenen Haustüre, um die Schlüsseln von diesen zu empfangen. Die Augen meiner Tochter leuchteten hell, als sie mich sah. Beide, Laura und meine Mutter, riefen „Mama“! Ein Mama, welches einen meiner schwersten Schritte im Leben doch etwas leichter fallen ließ. Ich tat diesen Schritt in ein Haus, welches nun doch nicht mit unverkennbaren Neugeborenenschreien erfüllt werden würde. Im Gegenteil. Lautes Wehklagen und Schluchzen werden Teile der Tage und vor allem der Nächte sein…

Heute, 18 Jahre danach, würde ich mir wünschen, dass es den gleichgesinnten Frauen, leichter gemacht wird. Dass sie ihre erlebte Geschichte gleich einmal erzählen dürfen, dass ihnen von Anbeginn zugehört wird, dass sie sich ihren Weg der Trauer selbst bestimmen dürfen und dass sie für all das Mut aufbringen. Da ich in meiner Freundesrunde bzw. in meinem Bekanntenkreis die erste Sternenmama war und irgendwie dann doch viele es auch wurden, habe ich schon oft einer traurigen Geschichte gelauscht. Ich bin eine starke Frau, die resilient und salutogenetisch ihren Lebensweg verfolgt, auch wenn dieser, zahlreiche schwarze Löcher und damit schwere Stunden für mich bereit hält.

Vielleicht will die eine oder andere mit mir reden – ich höre auch dir gerne zu. Auch hier auf meinem Blog. Geh deinen Weg, den du für richtig empfindest.

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Mein Gartenblumenstrauß für Benjamin am heutigen 25. Juni

Und lass es mich dir sagen: es gibt Tage wie heute, wo es mir mit und in meiner Trauer wieder einmal schlechter geht. Aber es gibt ebenso Tage, wo ich all das Bodenlose bereits heilsam in mein Leben integriert habe. Das Schwierige dabei ist, dass diese Schwankungen für mich unkontrollierbar sind. Vielleicht werde ich dies auch nie ganz können, denn meine Gefühle als Sternenmama kommen und gehen in Wellen. Besonders an Jahrestagen wie dem heutigen Sterbetag, dem errechneten Entbindungstag, Muttertagen oder den großen Feiertagen.

Ich möchte schließen mit dem Song von Eric Clapton, der ein Sternenvater ist und dies auf wunderbarer Weise in einem seiner größten Hits heilsam nach außen getragen hat und bei all seinen Konzerten immer und immer wieder erzählen darf:

Tears in Heaven

Would you know my name
If I saw you in heaven?
Would it be the same
If I saw you in heaven?
I must be strong
And carry on
Cause I know I don’t belong
Here in heaven
Would you hold my hand
If I saw you in heaven?
Would you help me stand
If I saw you in heaven?
I’ll find my way
Through night and day
Cause I know I just can’t stay
Here in heaven
Time can bring you down
Time can bend your knees
Time can break your heart
Have you begging please
Begging please
Beyond the door
There’s peace I’m sure
And I know there’ll be no more
Tears in heaven
Would you know my name
If I saw you in heaven?
Would it be the same
If I saw you in heaven?
I must be strong
And carry on
Cause I know I don’t belong
Here in heaven
Cause I know I don’t belong
Here in heaven


Ich wünsche dir als Sternenmama an deinen speziellen Tagen viel Kraft und Mut deinen  ganz eigenen Weg zu gehen und ich würde mich freuen, wenn du mich daran teilhaben lässt, deine Martina

 

 

6 Kommentare zu „Sternenmütter lasst uns reden

  1. Ich bin eine Sternenkind Omi !Man kann sich auch nicht vorstellen, wie unsagbar gross der Schmerz ist , seine Tochter sooo leiden zu sehen und nicht helfen zu können ! Was soll man Tröstendes sagen , wenn einem selbst das Herz gebrochen ist ,die Stimme versagt und man innerlich schreit WARUM ? Wenn man vor ihrer Zimmertüre steht , sie weinen und schluchzen hört und nur denkt “ bitte , lieber Gott ,beschütze sie ,lass nicht noch etwas Schlimmes geschehen “ !
    Ich war trotzdem dankbar , dass ich in
    In diesen schweren Stunden bei ihr sein konnte und Laura versorgen konnte ! Ich werde niemals mehr die schmerzvollen Augen meiner Tochter vergessen , bis ich meine Augen für immer schliesse und dieser Schmerz wird immer in meinem Herzen bleiben !
    Ich liebe meine Tochter sehr und bewundere sie , wie sie ihr Leben meistert!
    Eine Sternenkind Omi

    1. Liebe Sternen-Kind-Omi, ich danke dir für diese wunderbaren Worte und möchte hier natürlich die Schmerzen jedes Einzelnen, die in einer Sternen-Kind-Familie leben, nicht schmälern und ebenso wenig außer Acht lassen. Ich glaube, jeder und jede trauert „anders“ und jeder Schmerz in solch einer Situation ist unendlich.
      Erschreckend ist die Häufigkeit solch einer schmerzhaften Erfahrung: Zahlen für Österreiche sagen, dass jede 2. Frau „ein Kind mit geschlossenen Augen“ zur Welt bringt bzw. dass in Österreich jeden Tag ein Sternenkind zur Welt kommt.

      Du, liebe Romana, bist es nicht gewesen, aber ich hoffe und bete zum Himmel, dass meine Tochter dann wieder keine ist…
      In diesem Sinne, danke für deinen ehrlichen und tief ergreifenden Kommentar, deine Martina

  2. Hi, Martina, glücklicherweise musste ich das nie erleben, weiß aber von Freundinnen über den tiefen Schmerz, der von vielen – auch Sternenvätern – nicht ernst genommen wird, was ihn verstärkt. Natürlich ist es für die Umgebung am bequemsten, wenn Trauer für sich behalten wird, und manche Menschen wollen gar nicht drüber reden … Jedenfalls finde ich es wirklich gut, wenn du „ZUHÖREN“ zu diesem Thema anbietest!

    1. Liebe Erika, nach dem ich schon sehr lange eine Sternenmama bin und zu meiner Zeit dieses in der Öffentlichkeit überhaupt nicht besprochen werden konnte, möchte ich allen Betroffenen helfen, in dem ich zuhöre und wenn es auch nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein ist. Aber es ist so enorm wichtig, denn die Scheu von seinem „toten Kind“ zu sprechen ist leider noch immer sehr groß. Und die eigentlichen Hilfsstellen, wie Krankenhaus, Frauenservice, kommen da auch nicht so recht zusammen – zu meiner Zeit war es eine Katastrophe…

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